Landtag diskutiert Gewalt im Wahlkampf

Stand: 15.05.2024, 14:29 Uhr

Im Landtag haben die Fraktionen über Angriffe auf Politiker und Politikerinnen debattiert - überraschend ruhig und weitgehend ohne Zwischenrufe.

Von Christoph Ullrich

"Wir müssen alle abrüsten", sagte Martin Vincentz einen Tag vor der Debatte in einer Pressekonferenz. Und wenn er "alle" meine, dann soll das auch "alle" bedeuten. Worte, an denen sich der AfD-Landes- und Fraktionschef schon einen Tag später messen lassen musste, stellt doch genau seine Partei den einsamen Spitzenreiter bei Rügen für Zwischenrufe.

Da lieferte die Debatte über den Angriff auf den Sozialdemokraten Matthias Ecke in Sachsen einen Test für die Diskussionskultur im Landtag. Die Lage vor der Europawahl erscheint nämlich ernst: Nach vorläufigen Zahlen der Bundesregierung wurden 2023 so viele Übergriffe wie 2021 gezählt, dem zweiten Jahr der Corona-Pandemie. Beide Jahre markieren einen Höchststand, betroffen sind Menschen aus allen Parteien, die in Land- und Bundestag sitzen.

"Es gibt kein moralisches Recht auf Gewalt"

Zu Beginn der Debatte ermahnte Landtagspräsident Kuper (CDU), auf die Wortwahl zu achten. "Unsere Sprache, unser Miteinander hier im Hohen Haus ist immer auch Spiegelbild der Debattenkultur unserer Gesellschaft", warnte Kuper in Erwartung einer hitzigen Debatte. CDU, SPD, Grüne und FDP hatten gemeinsam einen Antrag gegen Hass und Hetze eingebracht, der AfD blieb nur ein eigener Antrag. Schon alleine deswegen musste man mit einer hitzigen Debatte rechnen. Aber diese blieb aus.

Gerade auch weil es einen sichtbaren Grundkonsens gab. Diesen sprach Oppositionsführer Jochen Ott (SPD) als erster deutlich aus: "Es gibt kein moralisches Recht auf Gewalt", sagte er. Zwar sei es erst nach der Gewalttat gegen Sozialdemokrat Ecke zu einem bundesweit größeren Aufschrei gekommen. Dennoch "hat niemand das Recht, AfD-Mitgliedern Gewalt anzutun!". Hochrangige AfD-Vertreter und -vertreterinnen hatten nach dem Angriff sich darüber beschwert, dass bei Übergriffen auf ihre Parteimitglieder es keinen Aufschrei wie bei Ecke gebe.

"AfD ist immer irgendwo zwischen Fackelzug und Facebook"

Dennoch sagte Ott auch, dass "seitdem diese Partei auf der Bildfläche erschienen ist, unser Staat unsicherer geworden ist." Er verwies darauf, dass die AfD einen autoritären und gewalttätigen Staat wolle, was man unter anderem an Postings in Sozialen Medien sehe, wo sie "Gewalt und Angst" in den Diskurs bringe. Der FDP-Politiker Marc Lürbke rief den Abgeordneten der AfD zu, ihre Partei würde immer "irgendwo zwischen Fackelzug und Facebook" agieren. Deshalb kaufe er der Partei die Opferrolle auch nicht ab, wenn sie von Angriffen auf sich selbst berichte.

Die Grüne Fraktionschefin Wibke Brems äußerte den Eindruck, dass die Gesellschaft im politischen Raum immer mehr verlerne, Kompromisse zu schließen. Verständigungen zwischen Parteien gelten bei vielen Menschen "oft als schmutzige Hinterzimmerdeals", obwohl doch jeder Mensch im Alltag immer Kompromisse eingehe, so Brems. Sie verwies auf den Diskurs in den USA, der inzwischen immer unversöhnlicher werde. Das Land "sollte uns eine Warnung sein".

Kaum Zwischenrufe, viel Disziplin

Bei all dem blieben die sonst üblichen, größeren Zwischenrufe von der AfD-Bank zunächst aus. Und auch die Gegenseite verhielt sich zurückhaltend, selbst nachdem der erste AfD-Sprecher Markus Wagner sagt, "kaum einer verharmlost die Nazis mehr als Hendrik Wüst." Wagner spielte damit auf Äußerungen des Ministerpräsidenten an, die AfD sei eine "Nazi-Partei". Wagner erklärt, dass genau dieser Vergleich die Taten der Nazis relativiere, weil die AfD - so Wagner - doch vor importierten Judenhass warne und gegen Krieg sei.

Blieb selbst diese Äußerung ohne Reaktion der anderen Parteien, provozierte Wagner mit fortlaufender Zeit dann doch Zwischenrufe, als er formuliert, "die Grünen, Hendrik Wüst und seine Freundin Ricarda Lang, sie wollen austeilen", aber heulten rum beim Einstecken. Stöhnen und vereinzelte Rufe wie "Wahnsinn" kommen von den anderen Fraktionen, als der ehemalige Fraktionschef daraufhin sagt, dass die AfD dagegen sinnbildlich der "Rocky Balboa der Parteien" sei und wie der boxende Filmcharakter klaglos einstecke.

Wüst warnt vor Entmenschlichung

"Herr Wagner, so kann man auch ne große Chance verpassen", quittiert Ministerpräsident Wüst selber die Rede. "Wo nicht mehr der Mensch, sondern nur die Uniform, die Institution, die der Mensch repräsentiert, ist der Weg zur Beleidigung, zu Anfeindung und zur Gewalt nicht mehr weit". Der CDU-Politiker meint damit auch die gestiegene Zahl an Übergriffen auf Rettungspersonal, Polizei und Lehrpersonal.

Wüst warnte - wie auch einige Vorredner - vor den extremsten Formen, wozu Hass und Hetze gegen Politik und andere Institutionen führen könnten. Er erwähnte den Mord am damaligen Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke, der 2019 von einem Neonazi erschossen wurde.

Die Debatte insgesamt verlief für ihr brisantes Thema am Ende friedlicher, als es befürchtet wurde. Trotz gelegentlicher Zwischenrufe hatte sich das Parlament im Griff, Landtagspräsident Kuper dürfte die Würde des "Hohen Hauses" nicht beschädigt gesehen haben.

Landtag diskutiert Gewalt im Wahlkampf WDR Studios NRW 16.05.2024 02:48 Min. Verfügbar bis 16.05.2026 WDR Online

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